Freiluftsaison: "Ekel-Alarm" in Deutschlands Lebensmittel- und Gastronomiebetrieben / In diesen Städten gibt es die meisten Beanstandungen

19.04.2018

110-Städte-Studie: Pirmasens, Heidelberg und Hof führen „Ekel-Ranking“ an / Niedrige Mängelquoten in Mülheim an der Ruhr, Trier und Eisenach / 31 von 100 Betrieben wurden im Schnitt beanstandet / Fast jede zweite Stadt verweigerte Auskunft oder gab nur unvollständige Daten preis

Die ersten warmen Tage in diesem Jahr haben viele Bundesbürger in die Restaurants, Cafés, Eisdielen oder Biergärten getrieben. Doch Achtung: Auch wenn das Glas, das Besteck oder der Teller sauber sind, Hygieneprobleme in den deutschen Lebensmittel- und Gastronomiebetrieben sind keine Seltenheit. Ob altes Fett in der Fritteuse, Obstfliegen im Kuchen oder Zigarettenkippen in der Küche – beim Einblick in die Ekel-Akten der Lebensmittelkontrolleure dürfte sich bei vielen Verbrauchern der Magen umdrehen.

Wo sich Deutschlands schlimmste Gaststätten, Imbissbuden und Lebensmittelbetriebe befinden, versuchte nun das Produkt- und Preisvergleichsportal billiger.de (2,03 Mio. Unique User lt. AGOF März 2018) herauszufinden und fragte in Zusammenarbeit mit dem Online-Nachrichtenmagazin netz-trends.de bei 110 deutschen Städten zu Kontrollen in Lebensmittel- und Gastronomiebetrieben für das Jahr 2016 an.

Das Ergebnis ist für die Verbraucher ernüchternd: Im Studienschnitt wurden 31 von 100 Lebensmittel- und Gastronomiebetrieben von den Kontrolleuren beanstandet. Dabei weichen die erhobenen „Beanstandungsquoten“ erheblich voneinander ab. In Pirmasens wurden im untersuchten Jahr bei-spielsweise knapp 84 Prozent aller kontrollierten Lebensmittelbetriebe bemängelt, während Mülheim und Trier mit Beanstandungsquoten von drei Prozent deutlich unter dem ermittelten Studienschnitt liegen.

Grundlage für die Rankingbildung waren zwei entscheidende Kennziffern: die Anzahl der Betriebe mit Verstößen sowie die Anzahl aller kontrollierten Betriebe einer Stadt. Aus beiden Angaben wurde anschließend die sogenannte Beanstandungsquote gebildet. Das Problem: Viele Städte konnten oder wollten die gewünschten Informationen nicht liefern. Von 110 Städten legten nämlich nur 57 Stück die Karten auf den Tisch und stellten entsprechende Daten dem Rechercheverbund zur Verfügung.

Außerdem erkundigte sich das Studien-Team noch nach weiteren Zahlen, darunter auch Angaben zu formellen Maßnahmen der Lebensmittelkontrolleure wie Verwarnungen, Bußgeldbescheide und Betriebsschließungen. Die Untersuchung basiert dabei zu einem Großteil auf Angaben der jeweiligen Städte und Veterinärämter. Teilweise wurden für weiterführende Informationen auch die Verbraucherschutzministerien und Statistikämter der jeweiligen Länder kontaktiert.

Besorgniserregende Zustände oder strenge Kontrolleure? Pirmasens, Heidelberg, Hof führen mit Abstand Ranking an

Angeführt wird das pikante Ranking von der rheinland-pfälzischen Stadt Pirmasens. Dort fanden die Lebensmittelkontrolleure 84 von 100 Betrieben beanstandungswürdig. Damit liegt die Stadt 175 Prozent über dem Studienschnitt. In absoluten Zahlen verstießen 215 von 255 kontrollierten Speisegaststätten und Lebensmittelbetrieben gegen die Auflagen der Kontrolleure. Darüber hinaus wurden 68 Verwarnungen erteilt und acht Bußgeldverfahren eingeleitet, drei Betriebe wurden temporär komplett aus dem Verkehr gezogen.

In Deutschlands ältester Universitätsstadt Heidelberg verstießen rund sieben von zehn kontrollierten Lebensmittelbetrieben gegen die strengen Vorschriften der Behörden. Im gesamten Jahr 2016 waren die Mängel bei acht Einrichtungen so schwerwiegend, dass sie zumindest zeitweise geschlossen werden mussten. Im Vergleich liegt die baden-württembergische Stadt ganze 131 Prozent über dem Studiendurchschnitt und sichert sich damit den zweiten Platz im Ranking.

In der bayerischen Stadt Hof beanstandeten die Kontrolleure im untersuchten Zeitraum immerhin noch 68 Betriebe pro 100 untersuchte Einrichtungen (120 Prozent über dem Studienschnitt). Von 496 kontrollieren Betrieben fielen den Kontrolleuren 335 negativ auf. Zusätzlich wurden 99 Verwarnungen ausgesprochen, ein Betrieb machte komplett zu.

Den Studien-Kriterien zufolge wiesen auch folgende Städte besonders hohe Beanstandungsquoten auf: Bremen (64 Betriebe mit Verstößen pro 100 kontrollierter Einrichtungen), Zweibrücken (64 Betriebe mit Verstößen pro 100 kontrollierte Lebensmittel- und Gastronomiebetriebe), Weimar (63 bemängelte Betriebe pro 100 kontrollierte Einrichtungen), Wilhelmshaven (61 bemängelte Betriebe pro 100 kontrollierte Einrichtungen) sowie Schwerin, Stuttgart, Pforzheim, Goslar, Dortmund, Düsseldorf, Augsburg und Halle an der Saale. *Weitere Städte mit „hohen Beanstandungsquoten“ entnehmen Sie bitte der Tabelle im Anhang.

Ob beim nächsten Restaurantbesuch in den Städten mit hoher Beanstandungsquote tatsächlich die Alarmglocken schrillen sollten, lässt sich aus den nackten Zahlen per se nicht unbedingt schlussfolgern. So kann es mitunter sein, dass die Lebensmitteldetektive hier besonders genau hinschauen, wenn es um Hygienesünden geht. Die Recherchen ergaben, dass es sich bei einem Großteil der üblicherweise festgestellten Verstöße um kleinere Beanstandungen handelt, die oftmals schon während des Kontrolltermins abgestellt werden können, aber dennoch aktenkundig werden.

Wenige Hygienemängel in Mülheim an der Ruhr, Trier, Eisenach, Gera, Bayreuth, Ingolstadt, Memmingen, Suhl, Bielefeld

Die billiger.de-Studie zeigt aber auch, wo die Lebensmittelkontrolleure nur wenig zu beanstanden hatten. Demnach ist Mülheim an der Ruhr nach stadteigenen Angaben die sauberste Stadt im Vergleich. Dort hatten die Kontrolleure nur bei drei Prozent (91 Prozent unter dem Studiendurchschnitt) aller untersuchten Betriebe, Imbisse und Gaststätten etwas zu meckern. 2016 gab es zwar auch in Mülheim 19 eingeleitete Bußgeldverfahren, Betriebe mussten jedoch nicht geschlossen werden.

Auch Trier schneidet in der Studie hervorragend ab. Hier bemängelten die Kontrolleure im Jahr 2016 ebenfalls nur drei Betriebe pro 100 kontrollierte Einrichtungen. Das in Thüringen gelegene Eisenach nimmt es wohl ebenfalls mit der Sauberkeit besonders ernst. Pro 100 getestete Betriebe waren nur 4 zu beanstanden, so das Urteil der Kontrolleure.

Auch die Betriebe in folgenden Städten fielen durch niedrige Beanstandungsquoten auf: Gera (4 Betriebe mit Verstößen je 100 Einrichtungen), Bayreuth (4 beanstandete Betriebe pro 100 untersuchte Einrichtungen), Ingolstadt (5 Betriebe mit Verstößen je 100 kontrollierte Einrichtungen), Memmingen (6 Betriebe mit Verstößen je 100 kontrollierte Einrichtungen) sowie Suhl mit durchschnittlich 7 beanstandeten Betrieben pro 100 untersuchte Lebensmittel- und Gastronomiebetriebe. *Weitere Städte mit „akzeptablen Beanstandungsquoten“ entnehmen Sie bitte der Tabelle im Anhang.

Thema zu heikel für Städte? Fast jede zweite Kommune hielt Informationen zurück oder antwortete überhaupt nicht

Die Recherche für die Studie nahm einige Monate in Anspruch. Der Grund: Trotz mehrerer offizieller Anfragen weigerten sich viele Städte, bei diesem Thema Zahlen zu übermitteln. Während einige Kommunen nicht auswertbare Zahlenkolonnen lieferten, um ja nicht zu viel Einblick in das sensible Thema Lebensmittelsicherheit zu gewähren, redeten sich andere mit einem angeblich zu hohen Arbeitsaufwand heraus oder gaben gar kein Feedback. Das ist insbesondere als problematisch zu betrachten, weil einige Kommunen, teilweise auch aus denselben Bundesländern, nur wenige Tage brauchten, um die Zahlen zu beschaffen.

Insgesamt erhielt das billiger.de-Studienteam nur 57 verwertbare Antworten von 110 angefragten Städten – fast jede zweite Kommune versandte unvollständige Daten oder machte sogar komplett dicht! Besonders stur zeigten sich einige Großstädte wie beispielsweise Hamburg oder Berlin. Hier musste jeder Stadtbezirk separat angefragt werden, um dann zu erfahren, dass man für die gewünschte Zusammenstallung nicht genügend Personalressourcen zur Verfügung hätte.

Auch das Saarland sah sich außerstande, Daten zu Lebensmittelkontrollen für die Städte Neunkirchen und Saarbrücken zu liefern. Die Daten seien hier nur aggregiert auf Landesebene verfügbar, so eine Presseverantwortliche. Eine Anfrage bei saarländischen Veterinärämtern blieb ebenfalls ergebnislos. *Weitere Städte, die sich nicht imstande sahen, Auskünfte über Lebensmittelkontrollen zu liefern, können der beiliegenden Tabelle entnommen werden.

Studiendesign

Das Ranking der einzelnen Städte erfolgte auf Basis der ermittelten „Beanstandungsquote“, bei der die Anzahl der Betriebe mit Verstößen durch die Anzahl aller kontrollierten Betriebe geteilt wurde. Der gebildete Quotient wurde der Vergleichbarkeit halber auf 100 Betriebe je Stadt hochgerechnet und aufgerundet. Darauf aufbauend nahm billiger.de eine Kategorisierung der jeweiligen Kommunen vor, wobei jene Städte, die mindestens 50 Prozent über dem ermittelten Städte-Durchschnitt liegen, die Kennzeichnung „Negativ“ erhielten. Das heißt: Hier bemängelten die Lebensmittelkontrolleure im Studienvergleich besonders viele Lebensmittel- und Gastronomiebetriebe im Jahr 2016.

Darüber hinaus zeigt die Studie auch jene Städte, in denen die Lebensmittelkontrolleure im Studienvergleich nur wenige Verstöße gegen Vorschriften der Lebensmittelsicherheit feststellen konnten. Zu den sogenannten Orten mit einer „akzeptablen Beanstandungsquote“ gehören sämtliche Orte, die mindestens 50 Prozent unter dem gebildeten Mittel der Beanstandungsquote liegen. Alle Angaben zur Anzahl der kontrollierten Betriebe, der Einrichtungen mit Verstößen, der Verwarnungen (mit und ohne Verwarngeld), der eingeleiteten Bußgeldverfahren und der (Teil-) Schließungen beziehen sich auf das Jahr 2016 und beruhen auf Daten der jeweiligen Städte, Veterinärämter, Verbrauchschutzministerien oder Statistischen Landes-ämter.

Die Datenbasis für „Lebensmittel- und Gastronomiebetriebe“ umfasst dabei sämtliche Betriebsgattungen nach dem bundeseinheitlichen ADV-Katalog zur amtlichen Lebensmittelüberwachung (Codenummer: 1000000 bis 9999999), darunter auch Restaurants, Supermärkte, Schlachthäuser, Krankenhäuser, Eishersteller und Obstgroßhändler. Davon abweichende Angaben, zum Beispiel stadteigene Systematisierungen, wurden in der Tabelle entsprechend markiert. Aktuellere Daten für das Jahr 2017 lagen einigen Städten noch nicht vor, sodass zur besseren Vergleichbarkeit das Jahr 2016 herangezogen wurde. Stand: April 2018, alle Angaben nach eingehender Recherche mit mehreren üblichen Korrekturschleifen. Alle Angaben ohne Gewähr!